Heute ist der 21. Dezember, der kürzesten Tag des Jahres. Heute ist Wintersonnenwende. Ein perfekter Zeitpunkt um über die Tage nachzudenken, an denen die Temperaturen wärmer waren, man für Rides wesentlich weniger Klamotten brauchte und es einfach nicht dunkel werden wollte. Vor ziemlich genau sechs Monaten, zur Sommersonnenwende, dem längsten Tag des Jahres, haben wir uns aufgemacht, um eine Schnapsidee zu verwirklichen: Eine 100 km Biketour auf den Trails der North Shore.
Wir haben riesiges Glück hier in North Vancouver drei Berge vor der Tür zu haben, die mit Trails aller Art gespickt sind, und die obendrein alle mehr oder weniger ineinander übergehen. Die klassische Variante der “North Shore Triple Crown” (zum Gipfel aller drei Berge an einem Tag zu fahren) haben wir dahingehend abgeändert, statt der kürzesten Route die besten Trails aller Berge miteinander zu verbinden, was nach unserer Rechnung etwa 100 Gesamtkilometer Kilometer bedeutete.
Unser großer Tag startete früh. Genauer gesagt um 5:00 Uhr, als sich acht verlorene Seelen an unserem vereinbarten Treffpunkt im Panorama Park in Deep Cove einfanden. Trotz akribischer Vorbereitung wurden im Halbschlaf noch fieberhaft letzter Proviant, Jacken und Werkzeug in den Rucksäcken verstaut und mit Unmengen an Kaffee der Müdigkeit der Kampf angesagt. Mit dem zeremoniellen Eintauchen unserer Reifen ins Wasser direkt am Strand in Deep Cove starteten wir unsere Mission.
Man weiß nie, was man alles in den dunklen Wäldern der North Shore findet. Rostige Töpfe und Pfannen, Bierdosen, Einmachgläser, zerbrochenes Porzellangeschirr, alles stumme Zeugen vergangener Epochen.
Mount Seymour abgehakt und hinter uns gelassen standen uns nur noch zwei weitere Berge bevor. Erste Zeichen dafür, wie verrückt unser Unterfangen war, machte ein Blick auf unsere Garmins deutlich: Nach 1,5 Bergen zeigten unsere Navis nur 35 km Gesamtkilometer an.
Ein Erdrutsch hat uns anstelle des Trails einen steilen, sandigen Abhang als Routenalternative präsentiert. Nach überstandener Traverse hatten wir uns eine Pause verdient. Obwohl wir definitiv keinen Hunger hatten, aßen wir brav unseren mitgebrachten Proviant, ohne den wir diese Tour zweifelsohne nicht überstehen hätten.
“Ich hätte die Vaseline schon früher gebrauchen können. Hätte ich nur schon vor dem letzten Anstieg gewusst, dass Dre welche dabei hat.” — Kevin Calhoun
Pünktlich zur Dämmerung machten die Wurzeln und Dirt der Trails Platz für Schotter und Asphalt für die letzten Kilometer hin zur Horseshoe Bay, unserem Ziel. Endlich angekommen, erwarteten uns kaltes Bier und Kartoffelchips.
“Wenn die Müdigkeit und Erschöpfung einsetzt und Dinge komisch werden, kann sich keiner mehr verstellen und man merkt, aus welchem Holz deine Freunde geschnitzt sind.” — Andreas Hestler
“Jeder Einzelne in der Gruppe hat mich zutiefst beeindruckt. Acht Leute, die sich einen ganzen Tag lang durch die steilen Anstiege quälen, nur um dann Vollgas wieder herunter zu brettern! Das hat großes Legenden-Potential!” — Jesse Melamed
Gerade als die Sonne hinter dem Horizont verschwinden wollte, tauchten wir unsere Reifen in das kühle Nass am Strand der Horseshoe Bay und beendeten somit erfolgreich unsere Mission. Die Statistik unseres Trips kann sich sehen lassen: 3700 positive Höhenmeter, 3712 Abfahrtsmeter, 15 Stunden und 42 Minuten im Sattel und insgesamt 87,1 Gesamtkilometer. Auch wenn wir unser Tagesziel knapp verfehlt haben, war diese Tour alle Strapazen wert, wenn man bedenkt, dass wir an nur einem Tag in den Genuss einiger der besten Trails an der North Shore kamen. Und das ganz ohne Ausfälle.
Besonderer Dank gilt Margus Riga, der diese ganze Tour mit seinem kompletten Kamera Equipment gemacht hat, das er den ganzen Tag in seinem Rucksack mit sich schleppte, während er uns zeigte, wie man auch in leichten Wanderschuhen und Flat-Pedals die Gruppe - auf wie ab - anführt; der sollten wir sagen “vorführt” !?